Max Hirschberg (* 13. November 1883 in München; † 21. Juni 1964 in New York, NY) war ein deutscher Rechtsanwalt jüdischer Abstammung. In der Weimarer Republik wurde er durch zwei politische Prozesse bekannt, in denen er als Strafverteidiger auftrat.
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Max Hirschberg (* 13. November 1883 in München; † 21. Juni 1964 in New York, NY) war ein deutscher Rechtsanwalt jüdischer Abstammung. In der Weimarer Republik wurde er durch zwei politische Prozesse bekannt, in denen er als Strafverteidiger auftrat.
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Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.
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#297 Brief an Max Hirschberg
Datierung | 1923-06-02 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 4 S., T Abschrift, Erläuterungen |
Provenienz | StA Au, Oberstaatsanwaltschaft, OLG Augsburg 1921-1922 und 1923-1924 |
Briefkopf | - |
Personen |
Hirschberg, Max
Rechl, ? Hirschberg, Max Katzenstein, Nettie Toller, Ernst |
Institutionen |
Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS)
Bayerisches Justizministerium |
Festungshaftanstalt.
Niederschönenfeld, den 2. Juni 1923.
Abschrift!
Für Herrn Oberstaatsanwalt!
An
das Staatsministerium der Justiz
in München.
Betreff:
I. Ein ihm vom Rechtsanwalt Dr. Hirschberg empfohlenes Sanatoriumsurlaubs-Gesuch will Toller aus persönlichen Gründen angeblich nicht stellen.
II. Wegen Zurückhaltung fremdsprachiger Post will Toller durch Rechtsanwalt Dr. Hirschberg mit Unterstützung des Schriftsteller-Schutzverbandes ein Gesuch stellen.
In einem heute zur Post gegebenen Briefe an Rechtsanwalt Dr. Hirschberg in München schreibt F. G. Toller u. A.:
I.
„6. bezw. 7.) Wie der Arzt heisst, der für einige Wochen die Vertretung geführt hat, kann ich leider nicht sagen. Ich nahm anfangs an, dass er für immer den früheren Arzt ersetzen wird, aber das war nicht der Fall. Doch will ich mich nach seinem Namen erkundigen. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, ein Gesuch um Sanatoriumsurlaub für mich einzureichen. Doch muss ich ablehnen. Ich habe mich nach der Periode der nervenzerrüttenden Ungewissheit, die dem letzten Gesuch nach Mutters Erkrankung folgte, und auf Grund von Erkenntnissen, die zu umschreiben mir nicht möglich ist, entschlossen, kein Urlaubsgesuch aus persönlichen Gründen mehr einzureichen.“
Es handelt sich um den prakt. Arzt Dr. Rechl in Weiden, der in der 2. Aprilhälfte den beurlaubten Hausarzt vertreten und von dem sich auch Toller hat untersuchen lassen.
Vgl. Berichte vom 17. und 27.4.23.
Was man von Dr. Rechl will, wird nicht gesagt. Jedenfalls wurde dieser durch den Nebenbeamten für die Festung seinerzeit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Tätigkeit in der Festung unter das Amtsgeheimnis falle, dessen Wahrung hier von besonderer Bedeutung sei.
II.
„9.) Eine Bitte hätte ich allerdings an Sie. Es besteht, glaube ich, eine Justizministerialverordnung, nach der Briefe und Zeitungen in fremder Sprache nicht ausgehändigt werden dürfen. Ich nahm, da ich im letzten Jahr etliche Kritiken und Briefe in fremder Sprache bekam, an, dass diese Verordnung aufgehoben sei, doch belehrten mich neuerliche Vorfälle anlässlich der Übersendung von Kritiken über die Aufführung in London und von Briefen des Newyorker Theaters, dass dem nicht so sei. Die Festungsverwaltung hat mir in den letzten Wochen in allen Fällen, in denen mir die Briefe in fremder Sprache nicht ausgehändigt wurden, freundlich gestattet, sie zur Übersetzung weiterzuleiten. Aber erstens halse ich damit einem Freunde, dem ich die Schriftstücke schicke, immer ein gut Teil Arbeit auf und dann belastet es die Nerven unerträglich, zu wissen, dass ein Schriftstück da ist, auf die Kenntnis des Inhalts indessen etliche Tage warten zu müssen.
Es wäre das beste wenn Sie sich mit dem Schutzverband deutscher Schriftsteller in Verbindung setzten und der Ihr Gesuch unterstützte. Frau Nettie wäre gewiss bereit, den gegenwärtigen Vorsitzenden aufzusuchen.“
Hiezu darf bemerkt werden:
Irgend welche ausdrückliche die Fremdsprachigkeit ein- und ausgehender Schriftstücke betreffende Bestimmungen sind nicht vorhanden.
Andererseits besteht kein Zweifel, dass der Schriftwechsel in fremder Sprache zum Mindesten nicht weniger der Zensur unterliegen kann wie der deutschsprachige, soll nicht die auf Grund der §§ 17, 22 H. O. getroffene, durch die Praxis in Hinsicht auf Ordnung und Sicherheit des Festungsstrafvollzuges sich als unerlässlich erwiesene Einrichtung der Zensur allen Sinn verlieren!
Nun wurden früher, auch im letzten Jahre der Einfachheit halber einzelne Briefe und Zeitungen in den geläufigeren europäischen Sprachen, sofern ohne weiteres ersichtlich war, dass sie den Zurückhaltungsgrundsätzen nicht zuwider waren, besonders solche für Toller bestimmte, in die Festung hineingelassen. Allmählich aber erschienen Briefe und Zeitungen nicht nur in englischer, französischer und holländischer, sondern auch – speziell für Toller – solche in russischer, russisch-jiddischer und sonstigen slavischen Sprachen. Entsprechend der Verbreitung und Aufführung von Tollers „Werken“ entwickelt sich progressiv eine fremdsprachige Korrespondenz von bedeutendem Umfange. Sogar Verträge wollte Toller mit Russland in russischer Sprache abschliessen!
Abgesehen von Privatbriefen handelt es sich zumeist um Kritiken von Aufführungen, die durch Tollers Beauftragte aus sämtlichen Zeitungen des Aufführungslandes im Original ausgeschnitten und hierher übersandt werden. Erfahrungsgemäss kommt darin der Strafvollzug an dem Dichter schlecht weg, ohne dass man allerdings daran denkt, dass der Dichter notwendigerweise von dem büssenden Revolutionär nicht zu trennen ist!
Derlei Propaganda aber kann aus Gründen des Strafvollzugs nicht zugelassen werden, zum Mindesten kann die Verwaltung durch die weitere Übermittelung an den Adressaten hiezu die Hand nicht bieten!
Man kann aber auch nicht von dem Zensor verlangen, dass er auch die exotischen östlichen Slavensprachen beherrscht!
Und schliesslich ist das Deutsche bislang wohl immer noch Amtssprache!
Andererseits aber kommt die Verwaltung dem Dichter Toller, wie er selbst ausdrücklich zugibt, seit längerer Zeit, nach Tunlichkeit entgegen, indem sie ihm das Fortschicken fremdsprachiger Sendungen von grossem Umfange – einzelne fremdsprachige Kritiken und Zeitungen erhielt Toller ohne Weiteres – zum Zwecke der Übersetzung ins Deutsche bereitwillig gestattet.
Allerdings pflegt Toller solch Entgegenkommen schlecht zu lohnen, indem er wie bekannt, auf alle Weise dem Strafvollzuge Schwierigkeiten zu machen bestrebt ist.
Schliesslich hat es sich der Revolutionär Toller selbst zuzuschreiben, wenn der Dichter Toller hier einige Unbequemlichkeiten mit in den Kauf nehmen muss. Wie Toller selbst den Revolutionär vor den Dichter gestellt hat, so muss er wohl oder übel jetzt auch gestatten, dass die Staatsinteressen des Strafvollzuges an dem Revolutionär seinen eigenen als Dichter vorangehen.
Da kann ihm wohl auch die frühere „Cousine“ und „Freundin“ Nettie kaum helfen!
Hoffmann
Oberregierungsrat, Vorstand.
Egt.
Str.