#277 Brief an Johann Karl Arthur Schlegel
Datierung | 1923-01-24 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 2 S., M |
Provenienz | AdK, Berlin, Ernst-Toller-Archiv, Nr. 425 (Kopie) |
Briefkopf | - |
Personen |
Schlegel, Johann Karl Arthur
Schlegel, Johann Karl Arthur Toller, Ernst |
Institutionen | Festungshaftanstalt Niederschönenfeld |
Mein lieber Genosse Arthur Schlegel
brüderlichen Dank für Deinen Händedruck, den ich herzlich erwidere. – Ja, Ihr ganzen Proletarier habt es schwerer gegen „die Alten“ in den eigenen Reihen als gegen die drüben. Auch mir wird es (ich lebe hier in der Haft mit etlichen Arbeitergenossen ständig beisammen) immer klarer, daß die Jungen in ihrer seelischen Haltung, im täglichen Tun, im festlichen Tun, im Verhältnis zum Nächsten viel stärker vom Geist sozialistischer Gemeinschaft durchdrungen sind als die Alten. Die Alten kämpfen für den Sozialismus zu bestimmten Zeiten , wenn eine Parole kommt, wenn ein Ereignis es verlangt, und sie kämpfen dann heroisch, die Jungen kämpfen immer: sie kämpfen ebenso um die Gestaltung ihres persönlichen, ihres gemeinschaftlichen Lebens (und jedem „Äußerlichen“ versuchen sie vom Wesen her Sinn zu geben und kennen darum kein „Äußerliches“, von ihnen Losgelöstes) – wie um die Verwirklichung des großen Ziels.
Es scheint, als ob der alte Urkampf Sohn – Vater auch vor den sozialistischen Reihen nicht Halt macht. Du verstehst gewiß das Bild und gibst ihm die rechte Deutung.
Hier waren einige Jugendgenossen eingesperrt, die hatten es gerade so schwer wie Du, die mußten jeden Tag von neuem sich gegen „die Alten“ behaupten – und oft kamen sie zu mir, verletzt und verzagt. Aber sie haben sich doch behauptet! Und allmählich merkten die Alten: hier wächst eine neue Jugend, die unvergiftet, gesammelt, stark ist.
So bleib auch du stark!
Dein Freund
Ernst Toller.
Fest. Niederschönenfeld,
24.1.23.