Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#266 Brief an Nettie Katzenstein
Datierung | 1922-??-?? |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 345f.). |
Personen |
Katzenstein, Nettie
Toller, Ernst Katzenstein, Nettie |
Beschlagnahmter Brief
An Tessa.
Ich muß Dich, verzeih bitte, um die Besorgung einer Badehose ersuchen. Folgende Bekanntmachung erreichte uns: „Es hat schon wiederholt, insbesondere bei den Gefängnissträflingen, Anstoß erregt, daß einige Festungsgefangene nackt in den Gängen der Festung herumgehen. Im Interesse der Ordnung der Anstalt und zur Wahrung des Anstandes wird deshalb jede Art von ‚Nacktkultur‘ in den Gängen und den Gemeinschaftszimmern der Festungsanstalt untersagt.“
Da ich meine morgendlichen Freiübungen nicht aufgeben möchte und trotz ausdrücklichen Ersuchens kein Feigenblatt geliefert bekam, muß ich Dich schon bemühen. Daß ich mich gegen den Ausdruck „Nacktkultur“ in Anführungsstrichen verwahrt habe, ist selbstverständlich. Die Herren (schrieb ich dem Vorstand), die sich beschwert haben, mögen an jenes Treiben, das man darunter gemeiniglich versteht, gedacht haben. Für die Reinheit ihres Denkens sei es übrigens bezeichnend, wenn sie nicht den Anblick eines anderen männlichen nackten Körpers ertragen könnten. Es fehlt, wie Du siehst, auch nicht an heiteren Intermezzos.
Ich erinnere mich an einen Geschützführer, den ich im Feld hatte, und der sich schämte, mehr als seine obere Halspartie mit Wasser zu befeuchten. Als ich einmal in gewohnter Schamlosigkeit ein Sonnenbad zu nehmen mich getraute, brummte er fassungslos: „Jetzt woas man, warum der liebe Herrgott den Krieg geschickt hat. Wenns die Menschen so san, so sündig, ja freili, jetzt woas i’s schon, jetzt wiß mas halt, warum ma außi san müsse.“ Und seit jener Stunde verachtete er mich. Mir fällt auch der Brief eines Kriegsberichterstatters aus der glorreichen großen Zeit ein: „Wie schamlos die Weiber in Frankreich sind,“ schrieb er, „geht daraus hervor, daß ich in einer Kirche eine Französin ihr Kind säugen sah.“
Wir leben im 20. Jahrhundert, und Bayern liegt in Deutschland.
Gute Nacht.