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Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

#225 Brief an Nettie Katzenstein

Datierung 1922-07-25
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz T: UT, Harry Ransom Center, Ernst Toller Papers
Briefkopf -
Publikationsort D: Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 350).

Als Druckvorlage dient D, da T nur als Auszug vorliegt.
Personen Katzenstein, Nettie
Toller, Ernst
Katzenstein, Nettie

25.7.1922

An Tessa.

Eine elende Kopfneuralgie hat mich wieder gepackt, ich liege meist zu Bett. Seit ich die Gewißheit habe, daß die Amnestie uns nicht trifft, habe ich die alte seelische Ruhe und Stärke wiedergewonnen. Zeitweise hatte ich sie verloren.

Die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften erließen einen Aufruf, in dem der schöne Satz vorkam: „Schmerz bewegt uns, daß die bayrischen Gefangenen noch immer nicht der Freiheit teilhaftig werden.“ Ohne Kommentar lasse ich Dich des Satzes „teilhaftig werden“. Das Deutsch ist schlecht, meinst Du, jämmerlich? Nicht jämmerlicher als ihre Haltung.

Eine kleine Historie: als vor einigen Monaten mein Vordermann auf der Reichstagsliste in die Enge getrieben wurde, er möge zu meinen Gunsten zurücktreten, da erklärte er, er würde es sofort tun, wenn nicht ein unüberwindbares Hindernis bestünde. Als Landessekretär müsse er unbedingt eine Eisenbahnfreikarte besitzen, die Partei sei nicht in der Lage, diese Reisekosten aufzubringen. Man werde also begreifen … Als ich das las, würgte mir etwas die Kehle, ich war nicht einmal fähig, mich zu erregen, ich schwieg und ich schweige seitdem, Verächtliches kann man nur schweigend beantworten.

Brauche ich zu sagen, wie mich Dein Entschluß beglückt, als Arbeiterin zu schaffen. Du tust, was jeder tun sollte, dem Sozialismus innere Notwendigkeit ist. Erleb es ganz, nimm alles auf Dich, gib Dich allem hin. Lausche. Ich wünschte, ich könnte mit Dir lernen. Denn wir haben zu lernen. Immer wieder zu lernen.