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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#202 Brief an Erich Cohn

Datierung 1922-03-05
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 2 S., T

Auszug, Abschrift

Provenienz StA Au, Oberstaatsanwaltschaft, OLG Augsburg 1921-1922 und 1923-1924
Briefkopf -
Personen Cohn, Erich
Männlein, Max
Blössl, ?
Bauer, ?
Schleusinger, Karl
Toller, Ernst
Cohn, Erich
Institutionen Großes Schauspielhaus (Berlin)
Festungshaftanstalt Niederschönenfeld
Werke Masse Mensch

Festungshaftanstalt.

Niederschönenfeld, den 6. März 1922.

An

das Staatsministerium der Justiz

in München.

Abschrift!

für Herrn Oberstaatsanwalt!

Betreff:

Toller erhofft ein Reichstagsmandat und dadurch die Freiheit. – Er verteilt Theater-Freikarten. – Toller wird plötzlich aggressiv, indessen nur gegen einen sich wendenden und wenig wehrhaften Gegner. –

I.

Toller schreibt am 5. März 22 an Diplom-Ing. Erich Cohn in Berlin, der anscheinend von Bromberg zugezogen ist, unter Anderem:

„… ich habe mir fest vorgenommen, dass mich, wenn mich einmal die Freiheit beschenkt, einer meiner ersten Wege zu Euch führen soll … Es besteht die ganz, ganz leise Hoffnung, dass ich gelegentlich durch Rücktritt eines Reichstagsabgeordneten frei werde. Ich bin nämlich erster Ersatzmann für den Reichstag (Bayern). – Aber noch fehlt die Mehrheit, die vor dem Machtwort aus dem Süden nicht zurückschreckt …“

II.

und weiter:

… Zu einer Vorstellung von „Masse Mensch“ liess ich an Deine Adresse drei Karten schicken. Meine nächste Premiere in Berlin wird Ende Mai oder Anfang Juni im Grossen Schauspielhaus sein. Ihr erhaltet rechtzeitig Karten …“

III.

Einer Mehrheit von Festungsgefangenen zugedachte Gelder werden aus technischen Gründen einem Vertrauensmann zugeschrieben, der dann für richtige Verteilung und Verwendung den übrigen haftbar ist.

Solcher war im letzten Monat Festungsgefangener Männlein. Anlässlich seiner Ablösung durch den Fest.-Gefangenen Blössl am 3. ds. kam es nach Mitteilungen eines Festungsgefangenen zu einer Auseinandersetzung unter den Gefangenen, da Männlein angeblich nicht richtig Buch geführt habe.

Im Verlaufe derselben sei Fest.Gefangener Toller ganz aufgeregt gewesen und habe den Fest.Gefangenen Bauer, seinen „Privatsekretär“ einen Schwindler geheissen.

Hiewegen habe Fest.Gefangener Schleusinger, Assessor von Starnberg, glaublich am 3.3.22 den Toller abends im Abort zur Rede gestellt und unter Anderem geäussert: Du bist ja auch längere Zeit hinter einer Tapetenwand versteckt gewesen.

Daraufhin sei Toller in Wut geraten und habe den Fest.Gefangenen Schleusinger, der sich bereits umgedreht hatte , um den Abort zu verlassen, mit der Faust auf den Kopf geschlagen .

Schleusingers rechte Hand ist stark verkrüppelt.

Toller, der bisher immer dann, wenn sein Gegner ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, nicht so viel Mut aufgebracht hat, sich zu wehren, zeigt eine ganz andere Schneid, wenn er hinterrücks einem Andern, der infolge körperlichen Gebrechens mehr oder weniger wehrlos ist, eine versetzen kann. –

[Unterschrift unleserlich]