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Johannes Hoffmann (* 3. Juli 1867 in Ilbesheim bei Landau in der Pfalz; † 15. Dezember 1930 in Berlin) war ein Politiker der DVP und SPD und 1919/20 Bayerischer Ministerpräsident.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#198 Brief an Ernst Peter Tal

Datierung 1922-02-16
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

T1: Brief, 2 S., T (Auszug, Abschrift)

T2: Brief, 1 S., T (Auszug, Abschrift)

T3: Brief, 2 S., T (Auszug, Abschrift)

Als Druckvorlage dient T1, da T2 und T3 stärker gekürzt wurden. T3 datiert den Brief auf den 27.2.1922.

Provenienz T1, T2: StA Au, Oberstaatsanwaltschaft, OLG Augsburg 1921-1922 und 1923-1924 (T1, Abschrift)
University of Pennsylvania, Penn Libraries, Rare Book & Manuscript Library, Mahler-Werfel-Papers (Ms. Coll. 575), Folder 1224 (T2, Abschrift)
T3: Thomas-Mann-Arch
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 340f.).
Poststelle -
Personen Tal, Ernst Peter
Hoffman, Johannes
Hoffmann, Heinz
Toller, Ernst
Tal, Ernst Peter
Institutionen Bayerisches Justizministerium
Verlag E. P. Tal
Werke Die Maschinenstürmer

Festungshaftanstalt

Niederschönenfeld, den 16.2.1922.

An das

Staatsministerium der Justiz

Abschrift!

MÜNCHEN

Betreff:

Der Festungsgefangene Toller treibt Agitation über die Frage des nächtlichen Lichtbrennens, der Erteilung eines Urlaubs und mit der ihm angeblich in Eichstätt vor 2 Jahren angebotenen, aber von ihm aus Grossmut-Rücksichten gegen weniger schuldige Genossen abgelehnten Begnadigung.

Heute wurde wegen agitatorischen Inhalts ein Brief Tollers an den Verleger Tal in Wien beschlagnahmt, der in seinem 2. Teil nachstehend im Wortlaut folgt.

Besonders interessant und ebenso unglaubwürdig klingt der Teil, in welchem Toller behauptet, dass der Staatsanwalt in Eichstätt vor 2 Jahren ihm die sofortige Begnadigung glatt angeboten hätte, dass er aber aus angeblich grossmütigen Rücksichten auf die noch büssenden weniger schuldigen Mitläufer diese abgelehnt habe und noch heute ablehne.

Toller führt wörtlich aus:

… „Und nun, sehr verehrter Herr Tal, lassen Sie mich zu Ihnen noch ein paar persönliche Worte sprechen. Ich bin von Ihrer Anteilnahme bewegt – nicht ohne Rührung des Herzens las ich von Ihren Plänen, mich mit der Hilfe geistiger Männer Deutschlands „freizubekommen.“ Wenn ich auch heute wieder in grossem Ernste bitte, von diesem Plan Abstand zu nehmen, so wollen Sie nicht glauben, dass irgend eine Laune  des Gefühls mich leitet. Ich hätte die Haft vor zwei Jahren verlassen können . Damals teilte mir der Staatsanwalt in Eichstätt mit, die Regierung (damals die sozialistische Regierung Hoffmann) – insbesonders das Justizministerium – hätte sich entschlossen, mich zu „begnadigen“ – „in etwa 3 Wochen“, so etwa sagte der Staatsanwalt, „sind Sie ein freier Mann.“ Ich habe jenen geplanten Gnadenerweis sofort abgelehnt – mit der eindeutigen Erklärung, dass, solange harmlose Mitläufer und Rotgardisten in Haft sitzen, ich auf Freilassung verzichte. Mein Standpunkt ist heute, auch unter veränderten politischen Umständen, der alte. (Ausgenommen, ich komme als Abgeordneter hinaus). Ich empfinde mein Schicksal nicht als persönliches Missgeschick, es ist Ausdruck sozialer Macht-„realitäten.“ Ich habe für eine Idee gekämpft, in der Überzeugung, dass diese Idee von mir jedes Opfer, ausgenommen das Opfer meines Gewissens, meines Verantwortungsgefühls, verlangen kann. Ich bin heute, nach fast dreijähriger Haft, stark genug, um ein mir auferlegtes Schicksal aus eigenem freien Mut zu wollen. Und so besitze ich jene Freiheit, die kein Paragraph, keine Mauern und Gitter mir nehmen. – Mein Schaffensvermögen wird vielleicht – vielleicht – zerbröckeln, vielleicht auch tritt es nur einen Winterschlaf an, reift und wächst unter der verharschten Kruste (ich habe die Kraft gewonnen, ohne Unrast und Gier in schauender Geduld reifen zu lassen) – sei es, wie es sei, es ist in jedem Fall wesentlicher sich zu leben , und somit die Idee, der man in freier und doch notwendiger Hingabe gehört, zu leben, als … Bilder des Lebens zu gestalten. –

Eines, nein zweierlei, wünschte ich mir allerdings:

Wenn deutsche Männer des Geistes des Antrieb fühlen, sich für mich einzusetzen – vorausgesetzt, dass sie dieses Sich-Einsetzen als Pflicht  fühlen, vorausgesetzt, dass sie ausser menschlichem Dank nicht eine Spur rücksichtnehmender Dankbarkeit erwarten – so hätte ich zwei Wünsche ( in keinem Fall dürfte in die Presse etwas kommen , dadurch würde infolge der Angriffe der Gegner die menschliche Angelegenheit zu einer politischen):

1.) die Erlaubnis, nach 9 Uhr auf eigene Kosten Licht brennen zu dürfen. (Nur in den Abend- und ersten Nachtstunden kann ich (gleichsam aus allen wachgewordenen Kräften mich verströmend) schaffen).

2.) die Bewilligung eines 2–3 wöchentlichen Urlaubs in der Zeit der Proben zur Aufführung der „Maschinenstürmer.“ Brauche ich Gründe zu sagen? Wird nicht jeder Schaffende wissen, was es bedeutet, von allen seinen Werken, die lebendige Gestalt annehmen wollen, völlig abgeschnürt zu sein!

Nicht, dass ich bei der Aufführung mich sensationslüsterner Menge zeigen will. Meinetwegen mag der Urlaub so liegen, dass er einen Tag vor der öffentlichen Aufführung endet.

Ich grüsse Sie sehr herzlich.

Ihr ergebener

(gez): Ernst Toller.

Hoffmann

II. Staatsanwalt, Vorstand.