#175 Brief an F. P.
Datierung | 1921-12-12 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 332). |
Personen |
F. P.
F. P. Toller, Ernst |
12.12.1921
An F. P.
Eben ertönt die Stimme des Aufsehers „neun“ das heißt, niemand darf mehr die Zelle verlassen. In einer Viertelstunde, um 9 Uhr, wird das Zellenlicht verlöschen, eine eigene Kerze anzuzünden ist verboten. Grauenhaft, diese Stunden schlaflosen Starrens in die Finsternis. Welche Erleichterung wäre es, wenigstens die Erlaubnis zu erhalten, auf eigene Kosten Kerzen zu brennen. Hinzu kommt, daß ich ein Mensch bin, der in den Morgenstunden kaum lesen oder arbeiten kann, daß meine geistigen Energien erst im Laufe des Tages erwachen und abends, nachts, voll und frei strömen.
Sie haben recht, nur der darf Kritik an unserer Zeit üben, der zu sich sagt: mea culpa, mea culpa, nur der darf reformieren wollen, der den Willen hat, sich zu erfüllen, wenn er der Welt Erfüllung bringen möchte. Und jene Menschen, die aus solcher Gesinnung leben und handeln, reichen sich heute schon, unsichtbar die Hände. Doch was werden sie erreichen gegen die mit Pech und Feuer geschweißte Phalanx der Gemeinen, der Niedrigen, der Schacherer mit Menschenleben, der Gewaltsüchtigen!