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Kurt August Paul Wolff (* 3. März 1887 in Bonn; † 21. Oktober 1963 in Ludwigsburg) war ein deutscher Verleger; Gründer des auf expressionistische Literatur spezialisierten Kurt Wolff Verlags, der von 1913 bis 1940 existierte.

Max Hirschberg (* 13. November 1883 in München; † 21. Juni 1964 in New York, NY) war ein deutscher Rechtsanwalt jüdischer Abstammung. In der Weimarer Republik wurde er durch zwei politische Prozesse bekannt, in denen er als Strafverteidiger auftrat.

Jürgen Karl Geibel Fehling (* 1. März 1885 in Lübeck; † 14. Juni 1968 in Hamburg) war ein deutscher Theaterregisseur und Schauspieler.

Friedrich Martin Adalbert Kayssler, auch Friedrich Kayßler (* 7. April 1874 in Neurode; † 24. April 1945 in Kleinmachnow bei Berlin) war ein deutscher Schauspieler sowie Schriftsteller und Komponist.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Kurt August Paul Wolff (* 3. März 1887 in Bonn; † 21. Oktober 1963 in Ludwigsburg) war ein deutscher Verleger; Gründer des auf expressionistische Literatur spezialisierten Kurt Wolff Verlags, der von 1913 bis 1940 existierte.

#168 Brief an Kurt Wolff

Datierung 1921-11-12
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief 3 S., M

Provenienz YUL, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale Collection of German Literature, Kurt Wolff Archive (YCGL MSS 3), Box 7, Folder 292
Briefkopf -
Publikationsort D1: Kurt Wolff. Briefwechsel eines Verlegers. 1911–1963. Hrsg. v. Bernhard Zeller und Ellen Otten. Frankfurt/Main: Verlag Heinrich Scheffler 1966, S. 328f.
D2: „Ich glaube nicht mehr an Wandlung“. Aus dem Briefwechsel zwischen Kurt Wolff und Ernst Toller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (1968), Nr. 202, S. 16.
Personen Wolff, Kurt
Hirschberg, Max
Puttkamer, Annemarie von
Fehling, Jürgen
Kayssler, Friedrich
Toller, Ernst
Wolff, Kurt
Institutionen Gustav Kiepenheuer Verlag
Die Volksbühne (Berlin)
Kurt Wolff Verlag
Werke Die Wandlung
Masse Mensch
Gedichte der Gefangenen
Die Maschinenstürmer
Der deutsche Hinkemann

Sehr verehrter Herr Wolff,

ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 27. Oktober, dessen rückhaltlose Gradlinigkeit mir aufrichtig wohltat.

Sie werden inzwischen von meinem Rechtsbeistand Dr. Hirschberg erfahren haben, daß Kiepenheuer nach langen Verhandlungen (mit Genehmigung der vom Gericht bestellten Aufsichtspersönlichkeit) sich bereit erklärt hat, die Bühnenrechte an meinen Dramen „Wandlung“ und „Masse Mensch“ freizugeben. (Beide Dramen sind von einer Reihe von Theatern zur Aufführung angenommen). – Das Manuskript der Hinkemanns sandte ich an Sie ab, und Annemarie Puttkamer war so freundlich, mir den Empfang zu bestätigen. Auch die Korrekturbogen der „Maschinenstürmer“ werden Sie erhalten haben.

Mir liegt nun sehr daran, verehrter Herr Wolff, zu einem raschen Abschluß der Verhandlungen zu kommen. Mein Urlaubsgesuch ist abschlägig beschieden worden, „es eigne sich nicht zur Berücksichtigung“, alle Hoffnungen auf mündliche Rücksprachen sind hinfällig. Den geruhigen Ablauf des Lebens in der Haft möchte ich durch Ausmerzung äußerer Sorgen nicht beeinträchtigt wissen – ich drücke mich „neutral“ aus, aber ich hoffe, daß Sie mich verstehen. Ich weiß, daß, wenn meine Werke von Ihnen übernommen sind, ich dieser äußeren Sorgen ledig bin.

„Maschinenstürmer“ und „Hinkemanns“ werden zu Ihnen von meinem künstlerischen Weg sprechen, dessen Horizonte und Aufgaben ich von Jahr zu Jahr deutlicher vor mir sehe. Ich habe die beglückende Gewißheit, daß meine dramatische Kraft trotz des entsetzlichen Abgeschnürtseins von der lebendigen Bühne wächst, Plane verdichten sich, ich glaube, daß mein Beruf sich entschied, der stete Konflikt zwischen Wirken wollen durch Handeln und Wirken wollen durch (Trieb zur) Gestaltung sich klärt. Erst gestern schrieb ich an einen Freund: Ich bin älter geworden durch eine Fülle von Lebens- und Menschenerfahrungen. Manch bitteres Erlebnis habe ich bis zur letzten Neige erfühlen, manche bittere Erkenntnis bis zur letzten gedanklichen Konsequenz durchdenken müssen. Auch die Schule gemeinsamer Haft ist eine Schule des Lebens, eine Schule des Erlebens nackter Menschlichkeiten, die, je nach Temperament, den einen (bedauernswerten) zum Misanthropen macht, den andern zu weisem, gütigem Verstehen der Menschen führt, zu einer Erschließung ( moralischer Wertungen überwunden habender) innerer Liebesmöglichkeiten, deren nicht mehr zu zerstörende Fülle Erniedrigungen und Demütigungen der Gegenwart ressentimentlos anschauen läßt. –

Lassen Sie mich, verehrter Herr Wolff, nicht lange warten. Ich will das neue Stück (abgesehen von kleinen Änderungen und Vertiefungen) lassen, wie es ist. Meine Arbeitskraft ist für viele Monate infolge meines gesundheitlichen Zustands geschwächt, und ich will, daß dieses Drama, das ein Schrei in die Zeit ist, bald Ohren und Herzen findet.

Ich beabsichtige, die Uraufführung der Berliner Volksbühne zu übertragen, die sich schon zweimal wegen des Stücks an mich gewandt hat, und ich hoffe, daß Jürgen Fehling die Regie führt und Friedrich Kayßler Mittler des Eugen Hinkemann sein wird.

Ich wäre dankbar, wenn ich noch in dieser Woche eine prinzipielle Entscheidung von Ihnen erhielte. – (Sie könnten dann gegebenenfalls gleich eine Abschrift der Volksbühne einschicken).

Nehmen die Übernahmeverhandlungen wegen „Masse Mensch“ und der „Wandlung“ den gewünschten Verlauf, bin ich gerne bereit Ihnen für den Bühnenvertrieb die verschiedenen Rezensionen zu überlassen. –

Gestern kommen die ersten fertigen Bogen meiner „Gedichte der Gefangenen“ an, die jetzt, glaube ich, eine Gestalt erhalten haben, die ich bejahen kann. Grüßen Sie bitte Annemarie Puttkamer.

Wie auch Ihre Entscheidung lauten mag, ich bin in jedem Fall

Ihr Sie herzlich grüßender ergebener

Ernst Toller.

Fest. Niederschönenfeld, 12.11.21.

2 Anlagen