Martin Beradt (* 26. August 1881 in Magdeburg; † 26. November 1949 in New York City) war ein deutscher Schriftsteller und Jurist.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#143 Brief an Martin Beradt
Datierung | 1921-06-25 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 1 S., T (Abschrift); mit dem handschriftl. Vermerk vom am 20. 7. 21 versehen, das Dokument „zum Personalakt Toller Ernst / geb. 1. 12. 93 in Samotschin“ zu geben. |
Provenienz | StA M, Bestand Polizeidirektion München |
Briefkopf | - |
Publikationsort | An Martin Beradt. Fest. Niederschönenfeld, 25.6.1921. In: Kirsten Steffen: „Haben Sie mich gehasst?“. Antworten für Martin Beradt (1881–1949), Schriftsteller, Rechtsanwalt, Berliner jüdischen Glaubens. Mit Abdr. einer unveröff. Erzählung des Autors sowie einer umfassenden Bibliographie. Oldenburg: Igel-Verl. 1999 (Reihe Literatur- und Medienwissenschaft, Bd. 70), S. 295. |
Poststelle | - |
Personen |
Beradt, Martin
Schlaikjer, Erich Toller, Ernst Beradt, Martin |
Institutionen | Festungshaftanstalt Niederschönenfeld |
Abschrift.
(Brief des F. G. Toller an Herrn Rechtsanwalt Dr. Martin Beradt,
Berlin W 15, Joachimsthalerstrasse 15.)
Sehr geehrter Herr Doktor Beradt!
Ich konnte in meinem Briefe nicht, wie ich versprochen hatte, die Urteilsbegründung rasch folgen lassen. Der Festungsvorstand verwies mich an die Staatsanwaltschaft München, die mir auf mein Ersuchen bisher noch nicht geantwortet hat.
Inzwischen sind meine Bedenken gegen Schlaikjer einen Prozess zu führen, „mein Recht bei einem Berliner Gericht zu suchen“ gewachsen.
Ich schrieb Ihnen: im Letzten habe ich auch für Herrn Schlaikjer ein Lächeln. Ich hätte ergänzen müssen: kein hochmütiges.
Da steht ein Mensch jenseits einer Kluft, über die keine Brücke des Geistes und der Seele zu führen scheint, trotz dem Verwurzeltsein in einer Sprache und sieht im andern den Schädling, den Verräter, den Mörder. Sieht ihn so, weil er ihn so sehen muss.
Mit ihm wegen dieses „Sosehens“ einen Prozess führen, hiesse wider seine „schicksalhafte Gegebenheit“ prozessieren. –
Bliebe das „Parteiinteresse“.
Denn er beleidigt mich nicht nur als Menschen, sondern auch als Vertreter ideeller Wollungen für deren Verwirklichung meine Partei zu kämpfen sich berufen fühlt.
Wird aber die Partei, die täglich Ziel schmutzigster Anwürfe ist (und leider sich mit Mitteln wehrt, die auch nicht immer reiner Natur sind, denn jede Demagogie ist unrein.) wirklich durch den Angriff des Herrn Schlaikjer geschädigt? Ich glaube, nein. Herr Schl. mag es vor sich verantworten, in diesen Zeiten stärkster Spannungen Zeilen zu schreiben, die im fanatischen Leser den Wunsch nach „Blut-Rache“ wecken.
(Die Hüter des Rechts werden ihm kaum ein höheres Verantwortungsbewusstsein „einschärfen“.)
Wenn ich bei neuen Angriffen nicht zur Einsicht komme, daß soziales Interesse die Führung des Prozesses gebietet, werde ich es halten wie bisher: Derartige Angriffe in die Mappe „Menschliche Kuriositäten“ legen.
Vorausgesetzt, daß Ihre Stellungnahme meine Überlegungen nicht erschüttert.
Mit herzlichen Grüssen,
Ihr ergebener
gez. Ernst Toller .
Fest. Niederschönenfeld, 25. 6. 21.