London, 24. 9. 35.

Liebe Lu,

Dank für Deine Zeilen. Es ist lieb von Netti an mich zu denken. Wenn sie glaubt, dass ich die Bilder verwenden könnte, würde ich sie darum bitten, da die englische Ausgabe in diesen Tagen gedruckt wird (nur die englische Ausgabe ist illustriert).

Du musst nicht glauben, dass ich aus Trägheit des Herzens Dir so selten schreibe. Ich war monatelang mit Emigrantenplänen so beschäftigt, dass ich kaum Zeit für eigne Arbeit fand. Später kamen Vorträge, Reisen usw. Im Sommer sassen wir in einem kleinen Nest in Frankreich. Erst vor zwei Wochen sind wir wieder nach London zurückgekehrt und versuchen ein kleines flat zu finden, das nicht so noisy and cold ist wie das, in dem wir augenblicklich wohnen.

Hast Du Nachrichten von Deinen Angehörigen? Wie geht’s der Mutter? Wo ist Eva? Mein Bruder musste plötzlich aus Deutschland flüchten, sitzt mittellos im Ausland und ich zerbreche mir den Kopf, wo ich ihn unterbringen kann. Ich habe keine Hoffnungen, dass für die Emigranten viel Sinnvolles geschehen wird.

Ja, ich staune, dass Du Kassiererin geworden bist. Die Kunden werden wenigstens einen Trost haben: eine solche Kassiererin ist einzig.

Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute

Dein

Ernst.

Wie geht es Lotte?

Bitte, grüsse sie herzlich.

Schick mir, bitte, ihre Adresse.