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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#107 Brief an Der Kampf (München)

Datierung 1920-??-??
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 306f.).
Personen Der Kampf (München)
Toller, Ernst

An K.

Die Politik der Unabhängigen Sozialdemokratie in den letzten Wochen und Monaten ist alles andere denn erfreulich.

Aus mancherlei Mitteilungen, die ich aus dem Parteileben erhalte, geht hervor, daß die Herrschaft der Phrase nicht ausgerottet ist.

Man vergißt scheinbar, in welchem Stadium der Revolution wir uns befinden, daß uns nur zielklare, praktische Arbeit, vor allem praktische Kleinarbeit gegenwärtig übrigbleibt, ja, daß wir aus taktischen Gründen gezwungen sind, ein Arbeitsprogramm für die nächste Zeit aufzustellen, das als teilweises „Aufgeben“ unserer revolutionären Ziele unklaren und böswilligen Köpfen erscheinen mag.

Wir sind vorerst gezwungen, für die demokratische Republik einzutreten, in allen Verwaltungsfragen mitzuarbeiten, ja, wir werden vielleicht gezwungen sein, in absehbarer Zeit, unter völliger Wahrung unserer Selbständigkeit und bei allen Sicherungen, mit den Mehrheitssozialisten ein kleines Stück Zweckweg zusammenzugehen. Uns fällt die undankbare Aufgabe zu, auch die minimalen Errungenschaften zu verteidigen, wir können es nicht verantworten, mit großer Geste auf sie zu verzichten, weil wir „aufs Ganze“ gehen. Die politische Entwicklung wird sprunghaft vor sich gehen, die wirtschaftliche nie. Der Wille der Arbeiter, die politische Macht zu erobern, muß gestählt werden, aber ebenso muß er die ökonomischen Gesetze erkennen lernen.

Und das vermisse ich sehr. Bringt doch in eurer Zeitung „Kampf“ anstelle des traditionellen Kleinkrams gute wirtschaftliche Aufsätze. Druckt Aufsätze aus der „Frankfurter Zeitung“ und ähnlichen Blättern ab und erläutert daran die kapitalistischen Methoden und Ziele und die für uns notwendigen und möglichen sozialistischen.

Bestehen Betriebsräteschulen?

Gebt kleine, gut geschriebene Flugblätter und Broschüren über wirtschaftliche Fragen heraus, die nicht mehr als zehn Pfennig kosten dürfen.

Schreibt im „Kampf“ jede Woche eine politische und wirtschaftliche Übersicht über die Verhältnisse, Geschehnisse und Bedingungen. Setzt euch mit den bolschewistischen Methoden der ersten Zeit kritisch auseinander und weist nach, warum sie zum Teil auf Grund der andersgearteten Gegebenheiten in Deutschland keine Anwendung finden können und zu finden brauchen.

Bekämpft mit allen Mitteln den Kampf der Ranküne und des Ressentiments.